Wer das Konsumverhalten von Menschen besser verstehen will, sollte sich mit der der Nachahmungstheorie des Kulturwissenschaftlers René Girard näher beschäftigen.
„Mimetische Rivalität“ nennt Girard dieses tief im menschlichen Wesen verwurzeltes Verhalten oder einfacher gesagt „Nachahmung ist die Wurzel allen Verhaltens“ und somit ein wichtiger Faktor im Verkaufsprozess.
Für Girard zählt der Drang von Menschen, andere in ihrem Verhalten zu imitieren, zu den Grundlagen der Zivilisation. Bereits Aristoteles stellt fest, dass der Mensch sich unter anderem von den niederen Tieren unterscheidet, dass er diejenige Kreatur ist, die am häufigsten
andere imitiert .
Girard entwickelte seine Theorie ursprünglich als gemeinsamen Rahmen, der genutzt werden sollte, um Anthropologie, Soziologie, Ökonomie, Religionswissenschaft und bis zu einem gewissen Grad Ökonomie in einen Satz von Grundideen zu integrieren.
Die Nachahmungstheorie steht im Widerspruch zu der Theorie, dass dass das menschliche Verlangen im Allgemeinen aus unserem Inneren kommt, sondern vielmehr entsteht dieses Verlangen erst durch die Beeinflussung von anderen. Die Ansicht, dass unsere Wünsche und Bedürfnisse von unserem eigenen Sein geprägt sind, wirkt somit sehr naiv. Die unbequeme Wahrheit ist laut Girard, dass wir unsere stärksten Wünsche aus der Nachahmung anderer Menschen ableiten.
Girard sieht dabei verschiedene Stufen in seiner Nachahmungstheorie: die erste Stufe nennt Girard „Mimesis – Nachahmung“; die zweite Stufe ist das „mimetische Verlangen“; die dritte Stufe „mimetische Rivalität“.
Sobald man sich dieses Prozesses bewusst wird, sieht man die Auswirkungen der Nachahmungstheorie überall: geopolitische Rivalitäten, Finanzblasen, Konsumverhalten; im Grunde genommen überall dort, wo Menschen interagieren.
Nicht ein Objekt der Begierde steuert das menschliche Verhalten, sondern das Begehren eines anderen, der es haben will; erst dadurch wird es begehrenswert.
Die Theorie von Girard ist zugleich sehr revolutionär, denn sie nimmt dem Menschen die Illusion, authentisch sein zu können, kulturelle und gesellschaftliche Normen beiseite werfen zu können, um den innersten Wünschen zu folgen. Girard sagt, dass wir unserem Herzen gar nicht folgen können, sondern vielmehr anderen. Nicht ein Objekt der Begierde steuert das menschliche Verhalten, sondern das Begehren eines anderen, der es haben will; erst dadurch wird es begehrenswert. Das Kind lernt durch Nachahmung, die Kultur ist ein einziger Prozess der mimetischen Vermittlung. Deshalb konkurrieren wir um die gleichen Dinge: die gleichen Schulen, die gleichen Arbeitsplätze, die gleichen Märkte, die neuste Marke.
Recht schnell fand die Nachahmungstheorie auch ihren Weg in das Marketing, um das Kauf- und Konsumverhalten von Menschen besser zu verstehen. Was Werber schon lange intuitiv geahnt haben, erhält mit der Nachahmungstheorie von Girard ein solides theoretisches Fundament.
Jede eigene Konsumentscheidung beeinflusst die Konsumentscheidung derjenigen, die man nachahmt – und umgekehrt ebenso. Jede Konsumentscheidung wiederum schafft eine Fülle von neuen Bedürfnissen.
Die Theorie von Girard deckt sich zugleich recht eindrucksvoll mit den neusten Forschungsergebnissen rund um Spiegelneuronen (kurze Einführung zu Spiegelneuronen) und dem Verhalten in der Tierwelt (Artikel 20minch)